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The Trouble with Being Born

In The Trouble with Being Born stellt die Regisseurin Sandra Wollner unangenehme Fragen nach der Existenz, der Verantwortung für das Leben also solches und erstaunlicherweise auch danach, was es heißt, nicht geboren worden zu sein.


Von Jonathan Ederer

„Die Blätter fallen, obwohl der Sommer erst angefangen hat.“ Die kindliche Stimme aus dem Off klingt, als hätte sie etwas Wichtiges mitzuteilen, führt in der plastischen Eingangssequenz einen Monolog, den man erst mit fortschreitender Zeit als leere Worthülse entlarven kann. The Trouble with Being Born oder Die Last geboren worden zu sein – so lautete der Arbeitstitel von Sandra Wollners zweitem Spielfilm – stellt mittels österreichischer Milieubetrachtungen tiefgreifende Fragen nach Menschlichkeit und Wahrheit. Der Titel erscheint dabei zunächst unmissverständlich, es verlangt aber eine genauere Betrachtung, um genau dieses Dilemma als des Pudels Kern zu entlarven. Denn am Ende bleibt die Frage, wessen Last es nun ist, geboren worden zu sein.

Nachdem der Film bisher nur ein einziges Mal zu sehen war – nämlich bei seiner Premiere auf der Berlinale in diesem Jahr, wo er auch den Spezialpreis der Jury gewann – läuft er im September auf dem Randfilmfest. Die Zeit könnte nicht besser sein, denn die Blätter fallen, der Sommer ist vorbei – und Ellis Leben ist vorüber, ehe es überhaupt begonnen hat. Der Android, um den sich die Geschehnisse in The Trouble with Being Born drehen, hat eine Aufgabe in seinem „Leben“: Er dient dem Menschen, der ihn personalisiert und konfiguriert, und bietet ihm all das, was ihm das echte Leben nicht bieten kann.

Von Philip K. Dick bis Falco

Kurzum: Elli (Lena Watson) ist ein Lückenfüller. Für Georg (Dominik Warta, Braunschlag) eröffnet sich durch sie eine neue Möglichkeit, die Vergangenheit nicht loslassen zu müssen. Denn die echte Elli, seine Tochter, ist vor vielen Jahren verschwunden. Dass der Android später den Besitzer wechselt, liegt in der Natur der Sache, denn dank seiner programmierten Wandlungsfähigkeit muss der Android von Lücke zu Lücke springen, diese auszufüllen versuchen – nur schließen kann er sie letztlich nicht.

Die thematische Bandbreite ist groß, aber nicht überladen und zeigt, dass der Film keineswegs eine reine Sci-Fi-Fantasie ist. Das Augenmerk liegt auf den Details – und ein Falco-Buch steht sehr auffällig in einem Regal. „Jeanny, life is not what it seems“, verkündete die Wiener Legende, nachdem die Besungene wie Elli verschwunden, vermutlich entführt wurde. Eine österreichische Geschichte, wie man sie leider auch aus der Realität kennt. In The Trouble with Being Born wird implizit beschrieben, wie ein solcher Fall wirklich aussehen kann – der Film bleibt dabei jedoch eher subtil. Dass Georg den Androiden auch sexuell missbraucht wird nicht explizit gezeigt, ist aber klar.

Provokation mit Prothese

Es gibt eine Szene, in der Elli nackt vor Georg sitzt. Man sieht ihre synthetische Geschlechtsöffnung und dabei streckt sie ihre Zunge heraus. Georg entnimmt sie ihr aus dem Mund und besiegelt den Pakt: Sein Vergehen an dem Androiden wird niemals an die Öffentlichkeit gelangen. Und obwohl Elli ohne Zunge genauso sprechen kann wie ohne, wird sie schweigen. Das hebt den Konflikt aber zugleich auf eine intersubjektive Ebene zwischen Mensch und Android: Kann man hier überhaupt von Missbrauch sprechen? Eine unangenehme Frage, deren Beantwortung The Trouble with Being Born dem Zuschauer nicht abnimmt.

Sandra Wollners Stil und ihre Inszenierung sind dabei besonders hervorzuheben. Bronzen-metallische und rostige Färbungen, die sich mit bitterem Beigeschmack in einem Bild der Selbstbetrachtung ergießen, werden in Tarkowski-Manier synästhetisch in Szene gesetzt: Elli blickt auf den See im Wald, als wolle sie dem Zuschauer sagen, dass sie das Dilemma erkannt hat, in dem sie sich wiederfindet. Sie ist umgeben von Natur und göttlicher Schöpfung, bleibt aber ein Fremdkörper, denn göttlich ist er nicht, der Mensch – ihr Schöpfer. Dafür hat er zu viele Fehler, schenkt ihr nichts als Missachtung, benutzt sie nur.

Synästhetik und Synergie

Die Synästhesie, die mit einem Geräusch von brennendem Holz erst zu einer solchen wird, intensiviert sich und so lässt Elli öfter den Satz verlauten, dass ihr menschliches Gegenüber nach Sonnencreme und Zigaretten riecht. Ein geschicktes sinnesübergreifendes Bild, unter dem sich jeder etwas vorstellen kann. Hier wird Ellis Rolle in diesem Komplex noch deutlicher: Sie kann die Lücke, die zu schließen sie konstruiert wurde, wiederum nur durch Synthetik füllen.

Denn was sind Sonnencreme und Zigaretten anderes als synthetisch-biologische Hybride – eben genau wie die Beziehung Android-Mensch. Indem sie dieses Gemisch durch Berührung und konstruierte Einfühlsamkeit metaphysisch und menschbezogen auflädt, entsteht die Illusion einer Erinnerung.

Während „Papa“ Georg mit dieser Illusion, der er sich wohl bewusst ist, durchaus zufrieden war, reagiert Ellis nächste Besitzerin, Frau Schikowa (Ingrid Burkhard, Toni Erdmann) eher abwehrend. Für sie wird Elli zu Emil, ihrem verstorbenen Bruder. Ihn, der jetzt als androgyner Android auftritt, kennt die alte Dame nur noch aus längst vergangenen Kindheitstagen. Auch hier muss der Android etwas ersetzen, das nicht mehr da ist. Der Unterschied: Frau Schikowa ist eine ältere Generation und so kommt auch der Aspekt der Synergie ins Spiel.

„Synthetical Native“

Ist ein Zusammenspiel zwischen Android und Mensch nur möglich, wenn letzterer an eine Vermenschlichung des Nicht-Menschlichen gewöhnt ist? Man müsste sozusagen ein Synthetical Native sein. Das ist bei Frau Schikowa nicht der Fall: Sie ist in einer Zeit groß geworden, in der Beziehungen frei von Synthetik waren. Als sich Emil ihr nähert, der zwischen geschwisterlicher und sexueller Liebe nicht unterscheiden kann, und ihr einen Kuss gibt, entlädt sich diese Unvereinbarkeit: „Spinnst du, schleich di!“ Das ist die natürlichste Reaktion in einer derartigen Situation und bestätigt den unüberwindbaren Graben zwischen beiden Spezies: Menschliche Intuition ist unvereinbar mit nicht-menschlicher Konvention, die in ihrer Stringenz nichts als absurd und deplatziert ist.

The Trouble with Being Born ist wie eine Philip-K.-Dick-Erzählung in österreichischem Kleinformat, die viele Fragen stellt, dem Zuschauer aber einiges abverlangt, was die Deutung anbelangt. In der filmischen Umsetzung wechselt Sandra Wollner zwischen kalter Inszenierung, die vor allem in abgeschlossenen Räumen zur Geltung kommt, und expandierenden Naturaufnahmen, bei denen die ruhige Kameraeinstellung einer Fahrt ins Ungewisse weicht.

Der Gang ins Ungewisse

Hier scheint nichts dem Zufall überlassen, alles hat seine Bedeutung und das Besondere ist, dass auch der Zuschauer während des gesamten Films die Möglichkeit hat, die Perspektive zu wechseln. Auch er hat die Möglichkeit, Fragen zu stellen: Hat Android-Elli, hat Android-Emil je wirklich gelebt? Und wenn nicht, wurden sie dann überhaupt geboren? Wenn auch das nicht zutrifft, wer hat dann jene Last zu tragen, die der Filmtitel aufgreift? Eine mögliche Antwort sind eben jene Fokus- und Perspektivenwechsel. Denn geboren wird noch immer der Mensch – biologisch, in einem schmerzhaften Akt der Mutter.

Dass die Möglichkeit des Verlusts allgegenwärtig und ausschließlich ein menschliches Problem ist, beschreibt dieser Film: Nicht der, der den Nachteil des Geborenseins erst gar nicht in sich trägt, kann die Last des Verlusts eines Geborenen von den Menschen nehmen. Es bleibt ein menschliches Problem, das vom Menschen gelöst werden muss.


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